Ingrid
Noll, 1935 geboren, wuchs in Nanking/China auf. Im Alter von
13 Jahren kam sie mit ihren Eltern nach Deutschland, nach ihrer
Heirat 1959 arbeitete sie zwanzig Jahre lang in der Praxis ihres
Mannes mit. Erst mit 55 Jahren, als ihre Kinder aus dem Haus waren,
begann sie zu schreiben - und hatte gleich mit ihrem ersten
Roman „Der Hahn ist tot“ einen überwältigenden Erfolg. Für
ihren zweiten Roman „Die Häupter meiner Lieben“ erhielt sie
1994 den Glauser Autorenpreis, der dritte „Die Apothekerin“
stand 77 Wochen in den Bestsellerlisten; der neueste „Selige
Witwen“ erschien im Februar dieses Jahres bei Diogenes. Ingrid
Noll gehört zu den erfolgreichsten Kriminalautorinnen der
Gegenwart.
aktuell:
Zu Anfang gleich die Standardfrage: Wie kamen Sie zum Schreiben?
Ingrid
Noll: Da ich in Shanghai geboren wurde, nannten mich die
Chinesen, die meinen Vornamen INGRID nicht gut aussprechen konnten,
AME; das wurde auch von unserer Familie übernommen. Als ich mit fünf
Jahren meinen Namen AME auf Papier malen konnte, hielt ich das für
die pure Hexerei. Ich bin immer noch der Meinung. Das Schreiben hat
mich nie mehr ganz losgelassen. Als kleines Mädchen schrieb ich
kurze Geschichten in Vokabelheftchen, als Schülerin in Deutschland
konnte ich mit der guten Deutschnote meine mangelhaften
Mathematikzensuren ausgleichen. Auch das Studium der Germanistik war
in diesem Sinne gedacht, entpuppte sich aber als staubtrocken.
Es
kam eine lange Phase, wo ich das Schreiben (nolens volens) verdrängen
mußte: Drei Kinder in dreieinhalb Jahren. Als nach dem Auszug der
Kinder ein Zimmer für mich frei wurde, habe ich experimentiert -
Kindergeschichten, Zeichnungen, Kurzgeschichten. Es waren immer nur
sehr kurze Texte, die ich mit wenig Zeitaufwand fertigstellen
konnte. Der Durchbruch kam, als ich bereits 55 Jahre alt war und
meinen ersten Roman schrieb.
aktuell:
Wie haben Sie einen Verlag gefunden? Wie lange dauerte die
Suche?
Ingrid
Noll: Als mein erster Krimi fertig war, gab ich ihn meinem Mann,
meinen erwachsenen Kindern, meinen Schwestern und Freundinnen zu
lesen. Ich war sehr unsicher, ob dieses Werk überhaupt für eine
Veröffentlichung geeignet wäre. Alle haben mich ermutigt, und erst
dann machte ich mich auf die Suche nach einem Verlag. Beim Buchhändler
schrieb ich mir zehn Verlagsadressen heraus, die meiner Meinung nach
in Frage kamen. Diogenes in der Schweiz war mein Favorit, unter
anderem, weil sie Patricia Highsmith dort als Hausautorin hatten.
Als man mich wenige Wochen später aus Zürich anrief und eine
Option für Diogenes erbat, brauchte ich meinen Roman nicht mehr an
andere Verlage zu verschicken. Schon bald kam die endgültige
Zusage. Es ist mir klar, dass auch eine gehörige Portion Glück im
Spiel war, denn nur in wenigen Fällen geht die Suche so schnell und
positiv zu Ende.
aktuell:
Können Sie sich noch an Ihre Gefühle erinnern, als Sie Ihr
erstes gedrucktes Buch in der Hand hielten?
Ingrid
Noll: Mein erster gedruckter Roman lag in meinen Armen wie ein
neugeborenes Kind. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, dass mein
Kinderwunsch noch jenseits der Wechseljahre in Erfüllung gegangen
war. Ich schleppte mein Baby tagelang mit mir herum und stellte es
abends auf den Nachttisch, damit mein erster Blick am nächsten
Morgen wohlgefällig darauf ruhen konnte.
aktuell:
Wie kamen Sie darauf, ausgerechnet Krimis zu schreiben?
Ingrid
Noll: Mit einer gewissen Naivität glaubte ich, es sei besonders
leicht und für eine Anfängerin die beste Übung, es mit einem
Krimi zu versuchen. Inzwischen weiß ich, dass man höllisch
aufpassen muss, um sich nicht in den eigenen Fallstricken zu
verheddern. Außerdem sollte ein Krimi spannend, psychologisch
nachvollziehbar und gut geschrieben sein - Anforderungen, denen man
erst einmal gerecht werden muß.
aktuell:
Ihre Heldinnen töten quasi „nebenbei“, Mord hat den Anschein
einer unabwendbaren Notwendigkeit. Verfolgen Sie damit eine
bestimmte Intention? Welche?
Ingrid
Noll: Bis jetzt habe ich - außer bei Kurzgeschichten - stets
aus der Perspektive der Täterin geschrieben. Natürlich versuchen
meine Heldinnen geschickt, den Leser von ihrer eigenen
Schuldlosigkeit zu überzeugen. Sie konnten leider nicht anders, es
ergab sich so, das Leben hat ihnen stets übel mitgespielt, sie
wurden dazu überredet, die Gelegenheit war günstig - so und ähnlich
lauten ihre Entschuldigungen für einen Mord. Meine Intention ist
natürlich, aufzuzeigen, was im Kopf meiner Protagonistin abläuft.
aktuell:
Wie entwickeln Sie einen neuen Roman? Mit oder ohne Konzept?
Ingrid
Noll: Für einen neuen Roman entwickle ich zuerst die Hauptfigur
und dann den roten Faden. Bevor ich auch nur ein einziges Wort
geschrieben habe, weiß ich alles über diese Person: Alter,
Charakter, Biographie, Aussehen, Hobbys und natürlich ihre
geheimsten Wünsche und Träume. Die Handlung ergibt sich dann später
beim Schreiben, und die Spannung erwächst aus der Frage, ob die
Heldin am Schluss ans Ziel ihrer Wünsche kommt. Ich mache mir aber
weder Notizen noch benutze ich ein Archiv oder ähnliches.
aktuell:
Woher nehmen Sie Ihre Figuren?
Ingrid
Noll: Meine Figuren sind Menschen, die ich mir gut vorstellen
kann: Es ist eine wilde Mischung aus Phantasie, Lebenserfahrung,
Menschenkenntnis und kleinen realen Einsprengseln.
aktuell:
Kennen Sie das Ende vorher?
Ingrid
Noll: Das Ende meine ich anfangs durchaus zu kennen, aber
meistens wird es während des Schreibprozesses noch ein paarmal
korrigiert.
aktuell:
Wie sieht die Zusammenarbeit mit dem Lektorat aus?
Ingrid
Noll: Die Zusammenarbeit mit meiner Lektorin ist gut. Sie sorgt
vor allem für kleine Kürzungen, zu denen ich aus einem unerklärlichen
Geiz manchmal nicht fähig bin. Selbstverständlich hat sie Recht,
wenn sie mir Wiederholungen wegstreicht. Am Inhalt oder dem
Charakter meiner Protagonisten wird grundsätzlich nie etwas geändert.
Insgesamt können wir in wenigen Stunden handelseinig werden.
aktuell:
Wie lange benötigen Sie im Schnitt für die Fertigstellung eines
Romans?
Ingrid
Noll: In der Regel erscheinen meine Romane im Abstand von zwei
Jahren. Das bedeutet aber nicht, dass ich die gesamte Zeit nur daran
gearbeitet habe. Es gibt oft längere Pausen oder Phasen, in denen
ich durch Lesereisen oder andere Aktivitäten gar nicht zum
Schreiben komme.
aktuell:
Im Gegensatz zu Ihren ersten Romanen, die ja von der Kritik und den
Lesern durchgängig gelobt wurden, gab es zu Ihrem Roman „Röslein
rot“ auch die eine oder andere kritische Stimme. Wie stehen Sie
zur Literaturkritik?
Ingrid
Noll: Zu allen meinen Romane gab es unterschiedliche Kritiken.
Erstens sind die Geschmäcker selbstverständlich und Gott sei Dank
verschieden, und zweitens muss man damit leben, dass man weder als
Person noch als Autor allen Kritikern oder Lesern gefallen wird.
Darüber
hinaus gibt es Kritiker, durch die man durchaus etwas lernen kann.
Es sind nicht jene, die in Bausch und Bogen verurteilen und verreißen.
Aber wer wie ein guter Lehrer den Finger an die Wunde legt und sagt:
Schau mal, hier hapert es, und da könnte man etwas besser machen!,
dem sollte man dankbar sein. Allerdings glaube ich, dass man an
Kritik immer ein wenig schlucken muss, vor allem, wenn sie als
unfair empfunden wird. Aber länger als drei Tage sollte man nicht
mit schlechter Laune herumlaufen, denn so viel Macht über sich
selbst muss man keinem Journalisten einräumen.
aktuell:
Welchen Rat würden Sie einem jungen Autor geben, der sein
Manuskript einem Verlag anbieten möchte?
Ingrid
Noll: Mein wichtigster Rat: Originell bleiben, keine anderen
Autoren kopieren oder sich an modische Trends anhängen. Bei der
Suche nach einem Verlag sollte man sich gründlich informieren, wo
man am besten ins Programm passt. Der Begleitbrief an diesen Verlag
sollte die Lektoren neugierig machen. Das Schreiben darf nicht allzu
lang sein, muss aber in aller Kürze gut formuliert und interessant
sein.
aktuell:
Frau Noll, ich bedanke mich für das Gespräch.
Das
Interview führte Nikola Hahn
©
Nikola Hahn,
2001, Nachdruck nur mit Genehmigung